Geschichte

Die Zeitschrift Strafverteidiger ist ein Meilenstein in der Geschichte der Strafverteidigung in Deutschland.

 

Sie hat in ihrer 30-jährigen Existenz Zeichen gesetzt, Zeichen dafür, dass die Verteidigung in einem Strafverfahren etwas mit der politischen Kultur einer Gesellschaft zu tun hat, dass die Anerkennung der Strafverteidigung auf der Anerkennung der Würde des Menschen beruht und sie hat Anstöße gegeben, dass Strafverteidigung von hoher Professionalität geprägt sein muss. Die Zeitschrift ist geführt im Lichte der Prinzipien der Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Strafanspruch des Staates und unterstützt die Schutzaufgabe derjenigen, die die Verteidigung führen. Die Zeitschrift hat Geschichte geschrieben. Ihre Gründung ist selbst Teil der Geschichte; sie ist in einer besonderen geschichtlichen Situation entstanden. Die Prinzipien, die ich in der ersten Ausgabe im Editorial dargestellt habe, haben noch heute Geltung. Die Zeitschrift entstand nach einer Phase, in der Beruf und Aufgabe der Strafverteidigung von der Regierung und in der Öffentlichkeit grundlegend in Frage gestellt wurde. Während in der Nachkriegszeit niemand ernsthaft danach fragte, auf welche Weise die Wachmannschaften der Konzentrationslager oder die Angehörigen der SS verteidigt wurden oder Anhänger der Kommunistischen Partei, wurde den Strafverteidigern und der Strafverteidigung in den Fällen der Protestbewegung und der Baader-Meinhof-Gruppe die Berechtigung und berufliche Qualität abgesprochen. Die Zeitschrift Strafverteidiger hat ihre Wurzeln in dieser Zeit. Wie Luhmann immer wieder dargestellt hat, geraten Prinzipien oder rechtliche Prinzipien immer dann zur größten Klarheit und Stärke, wenn sie in Frage gestellt werden. Dies gilt auch für die Berufsausübung der Strafverteidiger. Der Versuch, den damaligen Anwälten professionelle berufliche Absichten abzusprechen, ihre Berufung auf den Wortlaut der Gesetze und der Verfassung als Missbrauch zu qualifizieren, führte zu einem neuen Selbstbewusstsein. Bundesjustizminister Vogel bezeichnete die Strafverteidigung und die Berufung auf die Gesetze als Rechtsmissbrauch und meinte damit, dass die Benutzung von gesetzlichen Rechten für Gegner des Staates nicht erlaubt sei. Andere, wie der Spiegel-Journalist Gerhard Mauz, begrüßte „die Renaissance der Strafverteidigung“. Man mag zu den Verteidigern der Baader-Meinhof-Verfahren stehen wie man will, ihre Vorgehensweise = die Berufung auf die Gesetze und die Verfassung ist der Anstoß zur Gründung der Zeitschrift Strafverteidiger.

 

Aus der Gefahr, die die politische Verunglimpfung durch die Regierung und einen Teil der Medien für alle Anwälte werden ließ, entstand ein neues Bewusstsein. Viele Anwälte setzten sich in der Situation der Gefahr dafür ein, Strafverteidigung als ein Recht der Angeklagten und der Anwälte zu begreifen. Der Gründung der Zeitschrift 1980 ging die Gründung regionaler Strafverteidiger-Vereinigungen voraus. Zwar gab es die alte ehrwürdige Strafverteidigervereinigung in Berlin. Die erste Strafverteidiger-Vereinigung der Bundesrepublik wurde 1973 in Hamburg als Arbeitsgemeinschaft Hamburger Strafverteidiger gegründet. Die Gründer waren nicht nur Anwälte der Protestbewegung, sondern auch andere qualifizierte Verteidiger, die mit Gründung das neue Selbstverständnis geltend machen wollten. Der Hamburger Gründung folgten viele andere.

 

Der nächste Schritt war die Organisation der Strafverteidiger-Tage ab 1976. Zu den Gründern der Strafverteidiger-Tage gehörte Werner Holtfort, der Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag für die SPD war. Holtfort hatte mit den politischen Prozessen der damaligen Zeit nichts zu tun. Sein Verständnis war in der Auseinandersetzung mit Mitgliedern des Kammervorstands entstanden, die vor 1945 eine große Rolle gespielt hatten und ihre Vergangenheit vertuschten. Er fasste die an der Verteidigung orientierten Rechtsanwälte aus der Protestbewegung und dem traditionellen Bereich in den Strafverteidiger-Tagen und später im Republikanischen Anwaltsverein zusammen. Für wie gefährlich die Strafverteidiger-Tage vom juristischen Establishment angesehen wurden, zeigt der Umstand, dass der im Nürnberger Prozess bekannt gewordene Verteidiger Erich Schmidt-Leichner seine Zusage, den Hauptvortrag auf dem ersten Strafverteidiger-Tag zu halten, auf Druck des DAV zurückgezogen hat. Er begründete seine Loyalität dem DAV gegenüber in einem ausführlichen Brief, in dem er auch den Druck, dem er ausgesetzt war, nicht verschwieg. Die Tatsache, dass der DAV in den Strafverteidigertagen eine Gefahr für die Einheit und traditionelle Zusammenarbeit von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten sah, war öffentlich ausgesprochen. Es ist bekannt, dass der DAV alsbald einen Gegenverein gründete, die Deutsche Strafverteidiger e.V. Dieser Konflikt setzte sich fort, weil der DAV als Antwort auf die Gründung der Zeitschrift Strafverteidiger die Zeitschrift NStZ (Neue Zeitschrift für Strafrecht) auf den Weg brachte.

 

Die Gründung der Zeitschrift Strafverteidiger erfolgte 1980. Ich selbst habe das Projekt damals zusammen mit den Mitgliedern der Redaktion und einigen Hochschullehrern, die uns unterstützten, auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Dazu gehörten schon damals Winfried Hassemer, Erhard Denninger und Ingo Müller. Zu den Unterstützern gehörten auch Jürgen Welp, Gerald Grünwald und Karl Peters. Auch Klaus Lüderssen beteiligte sich an den Diskussionen. Das Konzept verlangte damals, dass die Redaktion nur aus Anwälten bestand und auch in der Gruppe der Herausgeber überwiegend Anwälte vertreten sein sollten. Das ist nicht durchgehalten worden, denn das theoretische Interesse von Anwälten ist oft nicht groß genug, um nach Abschluss eines einzelnen Verfahrens noch Grundlegendes beizutragen. Zu den Anwälten, die damals an den Diskussionen teilnahmen, gehörten die auf den Umschlag Verzeichneten. Ich hebe besonders hervor Joseph Gräßle-Münscher, der leider verstorben ist, der das Buch Kriminelle Vereinigung − Von den Burschenschaften bis zur RAF, veröffentlicht hat, Rainer Hamm, Richter II aus Köln und Wolfgang Bendler aus München. Der Erfolg der Zeitschrift beruht darauf, dass Hans-Joachim Weider und Reinhold Schlothauer von Anfang an Mitglieder der Redaktion waren und diese bis heute kontinuierlich geführt haben. Dies ist eine ganz besondere Leistung. Gerhard Strate, der anfangs Mitglied der Redaktion war, ist bald ausgeschieden. Klaus Lüderssen, der Strafprozesse und Strafverteidigung als Teil der politischen Kultur sieht, und viel über den Zusammenhang von Strafrecht und Literatur veröffentlicht hat, ist ein weiterer Glücksfall für die Zeitschrift geworden.

 

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ein neues Projekt vorzustellen, nämlich die Stiftung Strafverteidigung und Politische Kultur. Mit der Stiftung sollen die Absichten, die im Editorial der Zeitschrift Strafverteidiger 1980 dargestellt wurden, fortgeführt werden. Die Stiftung dient der Forschung und Wissenschaft. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht die rechtlichen Normen und ihre Interpretation. Es geht vielmehr um die Geschichte solcher Normen, um die dahinter und zugrunde liegenden Prinzipien und Leitsätze. So soll es auch um die Geschichte von Strafverteidigung international gehen, um nicht weniger als das historische Gedächtnis. Damit sollen die Prinzipien der Strafverteidigung immer wieder neu erarbeitet, die Anerkennung der Verteidigung und der Strafverteidigung als Teil nationaler Kultur soll gestärkt werden. Es soll so leichter möglich sein, Strafprozesse im internationalen Vergleich zu beurteilen. Ich wünsche mir, dass die Stiftung eine schöne Ergänzung zu der an der aktuellen Praxis orientierten Zeitschrift Strafverteidiger wird.

 

Rede anlässlich des Symposiums zum 30-jährigen Bestehen der Zeitschrift Strafverteidiger
Von Rechtsanwalt Kurt Groenewold, Hamburg